verbergen sich doch viele Vögel im Blätterdach eines Bau- mes oder im Gebüsch. Das oft umfangreiche Rufrepertoire ist den Vögeln ange- boren. Ihren artspezifischen Gesang müssen junge Singvögel dagegen in ihrer Jugend erst erlernen, genauso wie ein menschliches Kleinkind sprechen lernen muss. Dazu braucht es ein akustisches Vorbild, meistens den eigenen Vater oder einen anderen männlichen Artgenossen. Bei vielen Arten mit eher stereotypem Gesang (z.B. Buchfink, Gimpel) gibt es eine sogenannte sensible Prägephase, während der der Jung- vogel den arttypischen Gesang und eventuelle Dialekte lernt. Zieht man etwa ein junges Buchfinkenmännchen isoliert von Hand auf, ohne dass es einen erwachsenen Artgenossen belauschen kann, so wird sein Gesang immer nur rudimentär bleiben. Für andere, die nicht zu den Singvögeln zählen, gilt das nicht: Ein junger Hahn fängt an zu krähen, ein Täuberich beginnt zu gurren, sobald beide ein gewisses Alter erreicht haben – ganz ohne akustisches Vorbild. Andere Singvogel- arten, vor allem solche mit komplexen Gesängen wie etwa die Nachtigall, können offenbar lebenslang dazulernen. Die sehr unscheinbar bräunlich gefärbte Meistersängerin beherrscht bis zu 260 verschiedene, individuelle Vogelstimmen nach Merksprüchen erkennen Die Kohlmeise hat einen rhythmischen Gesang aus zwei- oder dreisilbigen Motiven, jeweils mehrfach wiederholt und oft metallisch klin- gend: Wo sitz i, wo sitz i, wo sitz i, wo sitz i? Siehste mich, siehste mich, siehste mich? Da sitz i, da sitz i, da sitz i, da sitz i! Für den typischen „Finkenschlag“ des Buch- finken gibt es viele regionale Merksprüche: Bin, bin, bin ich nicht ein schöner Buchfink? Ich, ich, ich bin drrrr Unteroffizihier! Ich, ich, ich trink gern würz´ges Bier! Fritz, Fritz, Fritz will wieder Zwetschg´n stehl´n! Gegen solch´ Liebesleid hat die Heckenbrau- nelle ein probates Mittel, ihr Gesang klingt eilig quietschend: Ich lispel und wispel und fistel bis Christel mich will! Die Singdrossel hat sehr vielfältige Gesangs- motive, die jeweils zwei- bis dreimal wiederholt werden. Unter diversen lautmalerische Merksät- zen gibt es sogar einen auf Plattdeutsch: Kiek Korl, kiek Korl, kiek Korl! Wat Deerns, wat Deerns, wat Deerns! Stücker fief, Stücker fief, Stücker fief, küss ehr! Küss ehr! Küss ehr! Küss ehr! Die Goldammer singt: Wie, wie, wie hab´ ich dich (so) liiiieb! Die Feldlerche tiriliert oft lang anhaltend im Fluge über Äckern und Wiesen: Die Rauchschwalbe trägt ihren oft minutenlang anhaltenden, angenehm zwitschernd-plaudern- den Gesang von einer Warte oder im Fluge vor: Wollte meine Jacke flicken, hatte kein´ Zwirrrn, fand nur ein Endlein, da musst´ ich lang zerrrrn … Der winzige Zaunkönig schmettert mit einer erstaunlichen Lautstärke von bis zu 90 Dezibel: Ich, ich, ich bin drrrr König, bin ich, ich, zi zi zi bin, bin, bin drrr König, bin ich ich! Der Gesang des Trauerschnäppers ist rhyth- misch auf und ab steigend und mit variablem Schlussteil: Siehst Du, siehst Du, siehst Du – trüb, trüb ist die Lieb´, trüb die Lieb´. Siehst Du, siehst Du, siehst Du - trüb, trüb ist die Lieb´, trüb ja! 74 Frühjahr 2023 Nun bin ich hier, nun bin ich hier, nun bin ich hier über der Wiese, Wiese, Wiese, Wiese. Mein Ziel, mein Ziel, mein Ziel, mein Ziel ist der Himmel, Himmel, Himmel, Himmel. Was mich trieb, was mich trieb, was mich trieb, was mich trieb, ist die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe zu ihr, zu ihr, zu ihr, zu ihr … Solche Merksätze, laut und im entsprechenden Rhythmus gesprochen, geben das Typische der jeweiligen Vogelgesänge gut wieder. Einmal gelernt, vergisst man sie nie mehr! Eine Fundgrube für die regionale Vielfalt sol- cher Sprüche ist das Büchlein „Vogelstimmen nach Volksmundversen erkannt“ von Klaus Philipp (Fauna Verlag, 2021)