Energie aktuell: Frau Dr. Vogler, wie sieht die Situation auf dem Energiemarkt derzeit aus? Dr. Ingrid Vogler: Extrem unübersichtlich weil alle Entwicklungen gleichzeitig und ne- beneinander passieren. Zum einen steigen die Energiepreise bei unterschiedlichen Energie- versorgern unterschiedlich an, je nachdem, welche Vorlieferanten und Langfrist- oder Kurzfristverträge sie haben und ob sie russi- sches Erdgas substituieren müssen oder nicht. Zum anderen gibt es im Moment unterschied- liche Energiepreise: Bei der Fernwärme dürfte von 10 Cent bis 30 oder 40 Cent pro kWh alles dabei sein. Bei Gas liegen die Preise zwischen 7 bis 30 Cent pro KWh. Gleichzeitig gibt es eine große Menge Ent- lastungsmaßnahmen der Bundesregierung. Aber auch die sind sehr unübersichtlich. Ein Teil der Maßnahmen ist angekündigt, ein Teil ist umgesetzt. Weil es sehr viele detaillierte Einzelmaßnahmen sind, kann man pro Per- son gar nicht umrechnen, was das nun ganz konkret für eine bestimmte Lebenssituation bedeutet. Dann kommen Maßnahmen dazu, wie die Gasumlage [wurde kurz vor Redaktions- schluss noch abgeschafft] sowie eine Mehr- wertsteuerabsenkung beim Gas, bei der auch die Frage offengeblieben ist, wie das bei Wärmelieferung, bei Fernwärme ist [wur- de kurz vor Redaktionsschluss noch be- schlossen]. Das alles zusammen führt zu teil- weise oder sogar sehr stark steigenden Preisen und zu großer Unsicherheit. Was wirklich fehlt, ist ein Deckel, der Sicherheit gibt, dass die höchsten Auswüchse von 30 Cent pro kWh Gas oder 40 Cent pro kWh Fernwärme ei- gentlich nicht vorkommen sollten [kurzfristig beschlossen, Ausgestaltung offen]. aktuell: Was bedeutet das für die deutsche Wohnungswirtschaft? Und für ihre Mieter? Vogler: Wir sehen im Moment, dass immer mehr Mieter Schwierigkeiten haben, erhöhte Vorauszahlungen zu leisten. Wir sehen, dass die Jobcenter, die die Kosten der Unterkunft finanzieren, die erhöhten Voraus- zahlungen nicht leisten. Das bedeutet sofort einen Liquiditätsverlust der Wohnungsunter- nehmen, weil die ihrerseits dort, wo die Energiepreise gestiegen sind, erhöhte Voraus- zahlungen an die Energieversorger leisten. Wir sind mittendrin in einer sehr dynami- schen Veränderung erleichtern und auch um die Grenzen der Anwendbarkeit aufzuzeigen. aktuell: Die Bundesregierung hat die beiden Verordnungen EnSikuMaV * und EnSimiMaV * auf den Weg ge - bracht. Wie sind diese umzusetzen bzw. wo entstehen hier Heraus- forderungen? Vogler: Der Gedanke, der hinter den Ver- ordnungen steckt, ist es, kurzfristig und mit- telfristig zusätzlich Energie einzusparen. Die Verordnungen selber sind deswegen für die Wohnungswirtschaft schwierig, weil sie sehr kleinteilige Lösungen für bestimmte Gebäude- bestände vorschreiben und weil sie teilweise gesamte Gebäudecluster erreichen wollen. So soll zum Beispiel der vorgesehene pflicht- weise hydraulische Abgleich sieben Millionen Wohnungen erreichen. Dabei ist nicht genü- gend bedacht worden, ob die Kapazitäten ausreichen und es ist nicht genügend be- dacht worden, dass diese zwei Verordnungen massiv Arbeitskraft und Kapazitäten aller Gebäudeeigentümer in bestimmte Konstella- tionen lenken. Gerade die wohnungsweise Information der Mieter und der hydraulische Abgleich sind sehr kritikwürdig, weil Aufwand und Nutzen in einem sehr, sehr schlechten Verhältnis stehen. Wir haben zu beiden Verordnungen GdW-Informationen herausgegeben, um eine Anwendung in der Wohnungswirtschaft zu DR. INGRID VOGLER Referat Energie Technik Normung beim GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. aktuell: In welche Energien sollte künftig investiert werden, wenn gleichzeitig das Wohnen bezahlbar bleiben soll? Sind die oft genannten Wärmepumpen, ist Fernwärme bzw. ist Wasserstoff eine realistische Lösung? Vogler: Das ist eine sehr komplexe Frage, weil die Energieversorgung eine systemische Frage ist. Ich kann nicht in jedes Gebäude jede Art der Energieversorgung einbauen. Selbst wenn es technisch gehen würde, wäre es von Seiten der Betriebskosten nicht sinnvoll, eine Wärmepumpe in ein komplett unsaniertes Gebäude zu bauen. Es wird so sein, dass Wärmepumpen und Fernwärmeanschlüsse in den nächsten Jahren die Hauptlösungen sein werden. Das wird nur funktionieren, wenn die Fernwärmever- sorger Wege finden, ihre Netze, ihrerseits mit erneuerbaren Energien zu versorgen, sei es mit Großwärmepumpen, sei es mit Ge- winnung von Solarenergie, zum Beispiel am Stadtrand, sei es mit Biomasseverbrennung. Insofern sind Wärmepumpen und Fernwär- me sehr realistische Lösungen. Wir werden dabei allerdings nicht schnell genug im Bereich des Klimaschutzes voran- kommen können, einfach, weil die Kapazitä- ten begrenzt sind. Zur Kapazität zählen Geld, Zeit, Menschen sowie Material und leider auch vorgelagerte Lieferketten um den gesamtem Globus herum. Wasserstoff ist eine Lösung, die auf keinen Fall abgeschrieben werden darf, aber vor 2030 nicht realistisch umgesetzt werden kann. Wir sagen den Wohnungs- unternehmen: „Wartet nicht auf Wasserstoff, aber hofft, dass er kommt.“ Denn es besteht schon noch die Hoffnung, dass Wasserstoff in den 2030er Jahren eine Zusatzlösung ist. Wir gehen allerdings nicht davon aus, dass Wasserstoff flächendeckend in allen Netzen zur Verfügung stehen wird. Das wird eher eine lokale Frage bestimmter 9