Wie viel Wahrheit brauchen Pflegekinder? werden an das Kind gesendet. Das Kind empfängt sie, ohne dass es das kognitiv einordnen kann. Und das ist viel schlimmer für das Kind, weil dadurch ein großes Rätsel- raten beginnt. Weshalb sind diese Gefühle da? Liege ich falsch? Stimmt mit mir etwas nicht? Deswegen ist es besser, dem Kind zu sagen: „Du, ich habe gemischte Gefühle gegenüber deiner ersten Mama. Ich weiß, dass sie eigentlich nichts dafür kann, denn sie hatte es selbst als Kind ganz schwer. Darüber bin ich traurig – und gleichzeitig bin ich manchmal zornig, dass sie dir so viel Schweres zugemutet hat, als du klein warst, und du merkst, dass ich gemischte Gefühle habe. Aber ich als Er- wachsene weiß auch, wie das alles gekommen ist, und ich arbeite an mir, darüber traurig und nicht mehr ärgerlich zu sein.,“ Wenn man den Kindern ermöglicht, der daraus resultie- renden Trauer im Leben einen Platz einzurichten und ab und zu darüber spricht, dann können Menschen auch wie- der richtig froh werden. Also, wir kommen nicht ohne die Trauer aus. Auch wenn es verständlicherweise Pflegeeltern gibt, die diese Trauer vermeiden wollen. Wenn Pflegeeltern einen ehrlichen Umgang mit den Kindern finden, dann schafft das ganz viel Vertrauen. Dann wird auch die Liebe des Kindes zu den Pflegeeltern stärker. Und deshalb ist es so wichtig, die Pflegeeltern zu ermutigen und zu sagen, eure Beziehung zum Kind wird besser, wenn ihr den leiblichen Eltern einen Platz im Leben des Kindes gebt. Und man kann diese Eltern für das Kind wertschät- zen, indem man zum Beispiel sagt, deine schönen Augen hast du von deinem Vater, oder dass du so gerne Sport machst, kommt von deiner Mutter. Wir sind jetzt schon ein bisschen beim Thema Wir sind jetzt schon ein bisschen beim Thema Biografiearbeit angekommen. Biografiearbeit angekommen. Das stimmt. Zur Biografiearbeit gehört ja nicht nur die des Kin- des, sondern auch die Biografie der leiblichen Eltern. Es gibt leibliche Eltern, die sind selbst schon beschädigt auf die Welt gekommen, zum Beispiel mit einem fetalen Alkoholsyndrom (FASD) oder sie haben psychische Erkrankungen und waren aus diesem Grunde nicht imstande, für ihr Kind da zu sein. Pflegeeltern sollten hier sozusagen zu Spezialisten werden. Um die möglichen Spannungen zwischen der Pflegefamilie und der Herkunftsfamilie zu reduzieren und eine für das Kind innere Balance zwischen den zwei Familien zu finden. Sehen Sie denn im Umgang mit schwierigen Sehen Sie denn im Umgang mit schwierigen Themen und Traumata Unterschiede in den Themen und Traumata Unterschiede in den verschiedenen Pflegeformen? verschiedenen Pflegeformen? Sicher. Die Bereitschaftspflege ist besonders herausfor- dernd. Dazu kann ich auch mein Buch empfehlen: „Von Piet, Planeten und Pflegefamilien“. Ich bin sehr dankbar, dass ich daran mitwirken konnte, auch an der Kinder- geschichte. Aber für die Erwachsenen habe ich in diesem Buch zusätzlich komprimiert zusammengefasst, was Bereit- schaftspflegeeltern alles leisten müssen. Das Schwere ist in der Tat, Bindungen einzugehen, und Bindungen wieder zu lösen. Und genau das ist die Aufgabe in der Bereitschaftspflege. Die Verwandtenpflege ist eigentlich keine klassische Pflegeunterbringung, sondern das ist die Unterbringung in einer Familie. Die Menschen, die sich entscheiden, ein Kind aus der Verwandtschaft bei sich aufzunehmen, tun dies, weil sie schon eine bestehende intensive Beziehung zu dem Kind haben. Und weil sie direkt mitbekommen haben, dass es diesem Kind nicht gut genug ging. Und weil sie sich in der Verantwortung fühlen. Das sind alles schwierige Voraussetzungen. Verwandtenpflege ist keine klassische Pflegeform, auch wenn sie formell als Hilfe zur Erziehung gewertet und bezahlt wird. Und das ist ja auch verbunden mit Fortbildung. Aber Verwandtenpflegeeltern haben wenig von Fortbildungen mit anderen Pflegeeltern, weil zwei völlig verschiedene Ausgangssituationen bestehen. „Verwandtenpflegeeltern brauchen eine viel tiefere Form der inneren Aussöhnung“ Verwandtenpflegeeltern brauchen eine eigene Gruppe mit anderen Verwandten, um über ihre Situation zu sprechen. Und sie brauchen eine viel tiefere Form dieser inneren Aus- söhnung mit den leiblichen Eltern. Das heißt, die Großmut- ter, die jetzt ihr Enkelkind bei sich hat, muss noch viel mehr leisten. Weil es dem Kind psychisch nicht gut geht, wenn es merkt, meine Oma leidet unter meiner Mutter oder unter den Herausforderungen, die mein Vater in unsere Familie bringt. Dann fühlt sich das Kind sehr bedrückt. Das heißt, die Verwandten müssen auch hier so etwas wie Frieden schließen und zu sich selbst sagen: Das ist nicht alles so gekommen, wie wir uns das gewünscht hätten, aber wir wol- len dem Kind in Trauer die Botschaft geben: Deine Eltern haben in Schwierigkeiten gesteckt. Das gibt es im Leben immer wieder. Wir achten sie trotzdem als deine Eltern. Was machen frühe Traumata und Was machen frühe Traumata und Bindungsabbrüche speziell mit den Kindern? Bindungsabbrüche speziell mit den Kindern? Das Wort „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und be- deutet „Wunde“. Die Wunde existiert im Nervensystem, im Körper und im Bewusstsein eines Menschen. Kinder, die früh traumatisiert wurden, haben ganz spezielle Persönlichkeits- strukturen. Sie haben große Angst vor Situationen, in denen sie sich ausgeliefert fühlen – und das bedeutet, dass sie auch Angst vor Bindungen haben. Denn wenn ich einen Menschen liebhabe, dann bin ich ja wieder in Gefahr, dass ich ausgelie- fert bin. ∙ 47 ∙