noch ein weiteres Jahr Zeit zum Faulenzen zu schinden. Doch Pustekuchen: Eine Zusage nach der anderen. Eigentlich für alles außer irgendwas mit Film und Theater an der Freien Universität. Aber das wäre sowieso ein Laberfach. Bei Stadt- und Regionalplanung geht es darum, Antworten auf die Fragen zu entwickeln, vor de- nen Gemeinden, Städte und Regionen so stehen. Wachstum, Demografischer Wandel aber auch starke Abwanderung und Schrumpfung sind komplexe Dinge, für die es individuelle Lösun- gen zu finden gilt. Das klingt noch nicht besonders konkret und als ich vorletzten Oktober in die Einführungswoche startete, hatte ich nicht wirklich eine Ahnung, was mich erwartet und erst recht nicht, was ich damit später mal machen kann. Heute glaube ich: Es geht vordergründig darum, Bauprojekte zu planen, die sich gut in die Städte und ihre Be- dürfnisse einfügen und Konzepte für neue Nut- zungen zu schaffen und in den meisten Fällen landet man dann entweder in der öffentlichen Verwaltung oder in einem privaten Planungs- büro. Einer Festanstellung mit festen Arbeits- zeiten und Urlaub steht wesentlich kreativere Entwurfsarbeit gegenüber. Oder wie ein Profes- sor in seiner Einführungsveranstaltung sagte: „In der öffentlichen Verwaltung bekommen Sie mehr Gehalt, dafür müssen Sie Freitags schon um eins nach Hause“. In Planungsbüros nimmt man hauptsächlich an ausgeschriebenen Wettbe- werben teil, tüftelt also immer bis zum Abgabe- termin tief in die Nacht an Gebäudetypologien, Straßen- und Freiraumgestaltung, um auf den letzten Drücker abzugeben und zu hoffen, dass einer der Entwürfe früher oder später mal reali- siert wird. So wie im Studium also. Aber zurück zur Einführungswoche: Da saßen wir also alle zum ersten Mal in unserem Raum, in dem uns noch viele Vorlesungen bevorstehen sollten. Etwa 60-70 von uns „Erstis“, ein also recht überschaubarer Studiengang. Höhepunkte dieser Woche waren Führungen über den Cam- pus, eine Kneipentour, Stadtspaziergänge, ein Praktikumstag (ich hatte mich für die Senatsver- waltung für Stadtentwicklung entschieden) und die beruhigenden Worte „Übrigens, es gibt kein Mathe“ und „im ersten Semester schreibt ihr kei- ne Klausur“. Außerdem: Die Planung der Erstse- mesterparty am Ende der Woche. Nach zwei Jahren Gammeln nun also wieder ein richtiger Tagesrhythmus – etwas andere Re- geln als zu Schulzeiten, aber im Prinzip dassel- be: morgens aufstehen, hingehen, zuhören und lernen. Im Endeffekt war der Umstieg aber viel leichter, als ich befürchtet hatte. Was mir den Studiengang besonders schmackhaft macht, ist, dass es sich hierbei um ein sogenanntes Projekt- studium handelt. Das heißt, man wählt während des Bachelorstudiums drei Projekte über insge- samt fünf Semester, an denen man teilnehmen möchte, die sich alle mit unterschiedlichen As- pekten, Problemen und neuen Ideen bestimmter Fachgebiete der Stadt- und Regionalplanung be- schäftigen. Ich bin beispielsweise in einem Projekt aus dem Fachgebiet „Stadt- und Regionalökonomie“, das sich mit Gentrifizierungsprozessen und de- ren Auswirkung auf die ansässige Wirtschaft in Neukölln beschäftigt. Aber es gibt auch welche über Kriminalität, die Sanierung von Berliner Vororten, Aufwertung der Wuhlheide (ein rie- siger, mittlerweile stark untergenutzter Park im ehemaligen Ost-Berlin), Erstellung einer Reise- führer-App für Denkmäler in Sachsen-Anhalt und noch ein paar andere. Ziel ist es, in Gruppen von 10-20 Leuten über zwei Semester lang mehr oder minder selbstständig eine Forschungsfrage zu entwickeln und sie zum Ende hin auch zu be- antworten. Diese Projekte, die für gewöhnlich zu großen Teilen aus Gruppenarbeit bestehen, wer- den mit insgesamt 60 Leistungspunkte gewichtet, machen also ein Drittel des gesamten Bachelor- studiums aus. Die Gruppenarbeit zieht sich aber auch durch die meisten anderen Module. Im ersten Semester gab es Zeiten, da war ich in fünf verschiedenen Arbeitsgruppen gleichzeitig. Aber Leidensgenossen sind ja schließlich auch irgend- wann Freunde, das hatte also auch was Gutes. „Super!“ dachte ich mir also, Projekte mit viel Gruppenarbeit, keine Klausur – dann rückten die Abgabetermine immer näher und bald schon war ich mehr in der Uni als Zuhause. Privatleben und Freizeit musste ich da erstmal hinten anstel- len. Stundenlang, immer bis tief in die Nacht, manchmal bis tief in den Morgen, saßen wir im Atelier und pfriemelten an winzigen Styro- durteilchen herum und hofften, dass sie am Ende aussahen, wie ein winziges Schöneweide (nur besser). Mit genug Bier klappte das auch. Mir war das Ganze trotzdem wesentlich lieber als gleich von Anfang an stupide auswendig zu lernen, Klausuren zu schreiben und von Hun- derten Leuten im Hörsaal nicht mal die Namen zu kennen. In der Gruppe war es immer unter- haltsam, und wenn man mal drei Stunden lang durch den Reuterkiez laufen und jedes einzelne Geschäft aufschreiben musste, war man auch nicht allein. Es soll ja Leute geben, die lieber Prüfungen schreiben. Denen würde ich dieses Studium jedenfalls nicht empfehlen. Sanjin Zamola 1 Gestaltungs- plan unseres Entwurfsgebiets in Berlin Schöne- weide aus dem 2. Semester 2Das Modell dazu – gebaut mit viel Liebe und noch mehr Bier.