THE SOPHOMorE | 29 Eine weitere Gemeinsamkeit: Das in Serien und Filmen verbreitete Bild eines dicken Cha- rakters ist entweder gekennzeichnet von Faul-, Dumm- und Ungeschicktheit oder stellt jenen Charakter als Bösen hin. Ähnliche Assoziati- onen sind auch übergewichtige Menschen des richtigen Lebens in großem Maße ausgesetzt. Fat Shaming bezeichnet als eine Form des Look- ism, der Diskriminierung aufgrund von Äußer- lichkeiten, das Erniedrigen oder Beschämen von Leuten, deren Körper nicht in das Schönheitsi- deal „Dünn“ passt. Was bedeutet dies aber für die Betroffenen und was sagt es über uns aus? Schlank war und ist jedoch kein universelles Ide- al. So galten in der Renaissance nicht nur dickere Körper, sondern gar ein Doppelkinn als erstre- benswertes Schönheitsmerkmal, erst mit den Anfängen des 20ten Jahrhunderts bildete sich im Westen das Schlankheitsideal heraus. Auch heute ist jenes westliche Schönheitsbild nicht von kul- turübergreifender Gültigkeit. Der Gedanke, dass Körperfülle von Wohlstand zeugt, da die genährte Person offenbar über genügend Lebensmittel verfügt und somit auch in der Lage ist, eine Fami- lie zu ernähren, ist in Ländern mit unsicherer Versorgungslage noch heute vertreten. Woher aber kommt die neumodische Idee der westlichen Welt, Fett sei alles andere als ansehnlich und gar Ausdruck schlechten Charakters? War das Fett früher Zeichen von Wohlstand, so ist heute der dünne Körper ein Indiz für diesen. Der schlanke Mensch kann es sich leisten, auf gesunde Ernährung zu achten, dem Dicken wird entsprechend Krankheit und mangelnde Diszip- lin unterstellt. Bestärkt wird Einordnung dicker und dünner Menschen in die Schubladen gut und schlecht durch die mediale Präsenz schlan- ker oder normalgewichtiger Personen. Sind Di- cke im Fernsehen meist negativ oder schlicht- weg gar nicht mehr präsentiert, so sind sie in Zeitschriften lediglich insofern präsent, als dass unter ihrem Bild – vorzugsweise eines mit fet- tigen Haaren, denn ein gepflegtes Äußeres und ein dicker Körper zusammen wären ja undenk- bar – neue Diätmaßnahmen vorgestellt werden. „Sei so wie Du bist!“, titelt die durchschnittliche Frauenzeitschrift mindestens in jeder zweiten Ausgabe und stellt daneben diverse Methoden vor, den eigenen Körper um 180 Grad umzupo- len. Mögliche Diäten zeigen dabei stets auch ein Vorher- und ein Nachherbild, bei dem das Model auf dem Vorher-Bild selbstverständlich mit nach unten hängenden Mundwinkeln portraitiert wird, ein solches Gewicht mache schließlich ge- nerell unglücklich. Eine Gewichtsabnahme – das heißt nicht nur Pfunde, sondern auch alle Pro- bleme im Nirvana verschwinden lassen. Sowas wie Unsicherheiten oder Traurigkeit ist im Land der Dünnen kein Thema mehr. Hier greift ein zentraler Punkt des Fat Shamings an. Unglücklich? Ja, das macht ein solches Ge- wicht nicht selten? Ungesund? Ja, auch das ist es nicht selten. Was jedoch gerne übersehen wird: beides hängt miteinander zusammen. Das Über- gewicht einer Person ist insofern ungesund für sie, als dass jene fortan Opfer einer Gesellschaft wird, die sie nicht akzeptieren und sie für das Übergewicht gar strafen wird. Der Satz „Du bist zu dick!“ stellt längst eine universell verwendba- re Antwort dar. Sei es auf die Frage „Warum darf ich nicht mitspielen?“ auf dem Schulhof oder auf das Wundern eines Bewerbers, warum er trotz vergleichbarer Qualifikationen nicht für ein Be- werbungsgespräch in Frage kam. Eine ständige Konfrontation mit solcher Ausgrenzung kann sich für den oder die Betroffene/n als psychische Belastung erweisen und infolgedessen auch phy- sische Resultate mit sich bringen. Übergewicht kann demnach einen ungesunden Körper bedin- gen, ja. Es bedeutet jedoch nicht wie irrtümlich von der schon beim Gedanken an Fett angeekelt aufschreienden Gesellschaft angenommen, jeder Übergewichtige sei krank. Ein „Ih, guck mal, der Fette da“ ist in der Regel weitaus ungesünder als all dessen überflüssige Kilos addiert. Aber nein, selbstverständlich bestimmt sich die Gesundheit eines Körpers lediglich über dessen Statur. Der angewiderte Blick der Wartenden am Bahnhof als sich ein korpulenterer Mann setzt und in sein Brötchen beißt, ist vollkommen ge- rechtfertigt. Das geflüsterte „Wenn er so weiter isst, wird er noch an seinem Fett ersticken! Ge- sund ist der nicht“ einer Schülerin zu ihrer Klas- senkameradin ebenso. Tatsächlich machen mehr Faktoren als bloß der des Gewichtes den gesund- heitlichen Zustand einer Person aus. So wie sich Untergewichtige und Übergewichtige bester Ge- sundheit erfreuen können, kann auch der nach dem BMI im Normalgewichtsbereich zuzuord- nende Bürger in einer schlechten medizinischen Verfassung sein. Fat Shaming tut der Gesundheit eines Menschen nichts Gutes – im Gegenteil. Der Punkt, an dem wir auf den Merkmalen eines Menschen herumhacken, ist der, an dem wir ak- tiv in seinen gesundheitlichen Zustand eingrei- fen und ihn in eine negative Richtung lenken. Gesundheit, gut, okay, aber zumindest Faulheit und unausgewogene Ernährung bleiben zutref- fend für Übergewichtige! „So wie die aussieht, isst sie, wenn sie nach Hause kommt, sicher erst mal 3 Tüten Chips“, tuscheln die Klassenkame- radinnen von Marie im Sportunterricht. „Vorm Fernseher auf dem Sofa chillen und das jeden Tag. Die einzige Anstrengung der Griff in die Keksdose“, spekuliert eine der Freundinnen. „Zu- mindest bis es dann fett Abendessen gibt, dazu steht sie dann auch mal auf“, erwidert die dritte und erntet Lacher von den Umstehenden. Ge- netische Voraussetzungen und krankheits- oder durch Medikamente bedingte Zunahme sind lediglich 3 Aspekte, die zeigen, wie falsch auch diese verallgemeinerten Urteile sind. Die zeigen, dass die Ursachen für ein ho- hes Gewicht an verschiedenen Ansatzpunkten zu finden sind. So wie auch der faulenzende, Fast-Food in sich hineinstop- fende Mensch durch einen gut arbeitenden Stoffkreislauf im normalen BMI-Bereich sein kann, kann sein aktiver und sich bewusst ernährender Nachbar übergewich- tig sein.Während Fat Shaming also lediglich negative Auswirkungen auf gesundheitliche Zu- stände von Menschen hat, so begünstigt die Ak- zeptanz von Übergewicht und das ausbleibende Zurückschrecken vor dem Wort „Fett“, als sie es ein Todesurteil, keine weitere Gewichtszunahme. Das einzige, was bei diesem Verhalten ausbleibt, sind Formen der aktiven Diskriminierung. Dies ist kein Aufruf, Gewicht zuzulegen. Aber es ist ein Aufruf, sensibler in unseren Urtei- len zu werden. Uns bewusst zu sein, dass ein Gewicht weder ein Aushängeschild für die Eigenschaften einer Person noch für seine Ge- sundheit noch für sein Glück ist. Uns, wenn wir das begriffen haben, auch darüber klar zu werden, dass wir kein Recht haben, einen ande- ren Körper zu verurteilen oder den Menschen in diesem Körper zu strafen. Und ich hoffe, hoffe wirklich, dass niemand, der meint, das begriffen zu haben, danach einen Kommentar à la „Stimmt schon, richtige Frauen haben eh Kurven“ im Kopf herumschwirren hat, in dem ehrlichen Glauben Thin- oder Skinny-Sha- me sei in irgendeiner Weise angemessener als Fat-Shame. Rina Teske HOMER SIMPSON, DOUG HEFFANAN, PETER GRIFFIN – ALL DIESEN SERIENCHARAKTEREN IST EINS GEMEIN: IHR ÜBERGEWICHT „Fat Shaming tut der Gesundheit eines Menschen nichts Gutes – im Gegenteil. Der Punkt, an dem wir auf den Merkmalen eines Menschen herumhacken, ist der, an dem wir aktiv in seinen gesundheitlichen Zustand eingreifen und ihn in eine negative Richtung lenken.“ Unterhaltung