THE SOPHOMorE 30 | AN BO RD Ich wache auf vom leisen Klappern der Teller, die in der Messe, die di- rekt an meine Koje grenzt, auf die vier langen Holztische gestellt wer- den. Leises Gelächter. In der Nase der ölige Geruch nach Motor. Ne- ben mir Loris und Merten, die bei- den vierzehnjährigen Praktikanten, mit denen ich mir die Koje teile. Beide die Schlafsäcke bis unters Kinn gezogen. Die Nächte auf See sind eben doch deutlich kälter als an Land. Ich drehe mich noch einmal um, die letzten Minuten Ruhe auszukosten, als sanft eine freundliche Stimme uns drei beim Namen anspricht, uns Uhrzeit und Wetter mitteilt und uns einen schönen Tag wünscht. Das Frühstück ist fertig. Die nächsten 16 Stun- den werde ich Ruder legen, die Klau holen, Geitaue fieren, bemusen, Slipsteke binden, Ausguck gehen, Backschaft und Reinschiff machen und zahllose weitere Tätigkeiten mit befremdlichen Namen durchführen. Ich bin Teil der Crew der Fridtjof Nansen. Einem 1919 in Dänemark gebauten Drei- mast-Toppsegelschoner, der von der Fridtjof Nansen e.V. betrieben wird und Jugendrei- sen auf der Ostsee anbietet. Die Fridtjof Nansen ist ein Traditionssegler. Es wird mit historischem Tauwerk und möglichst ohne fremde Hilfsmittel gefahren. Die 52m lange mit einem Stahlrumpf versehene Windjam- mer zu manövrieren ist ein komplexes Un- terfangen. In der Regel braucht es alleine 10 Jugendliche um nur eines der drei Gaffel- segel zu setzen.Ich bin zum dritten mal bei einem Törn als Crew mit an Bord. Und auch dieses mal wird am Ende der Reise bei mir der Eindruck bleiben, was für eine gewaltige Veränderung eine Woche an Bord des Schif- fes bewirken kann. Nicht nur in mir. Die Jugendlichen, die mit uns mitfahren, werden von der ersten Minute an Bord voll mit eingebunden. 8-Klässler. Irgendwas zwi- schen 13 und 15. Mitten in der Pubertät. Da gibt es die Coolen, die Streber, die Tussis, die Nerds usw. Wir alle erinnern uns. Keine Kinder mehr, noch längst keine Erwachse- nen. Hier an Bord betreten sie eine fremde Welt, gefühlte Lichtjahre entfernt von der Komfortzone des elterlichen Heimes. Ohne Handys, dafür aber mit klar umrissenen Verantwortungen. Jede Tätigkeit, die für eine sichere Reise wichtig ist, soll im Ide- alfall von den Schülern übernommen wer- den. Das bedeutet: Jeden Tag werden sechs Schüler zur Backschaft eingeteilt, die dann in der 3m² kleinen Kombüse vier Mahlzei- ten für die gesamte Crew zubereiten. Jeden Tag wird das Schiff beim so genannten Rein- schiff so gründlich geputzt wie meine eigene Wohnung in Berlin seit Jahren nicht mehr. Das kann schon mal mehrere Stunden dau- ern. Jede Nacht müssen im Wechsel Zweier- teams Ankerwache gehen um den ruhigen Schlaf der restlichen Crew zu gewährleisten. Und bis hierhin sind wir noch keine Sekun- de gesegelt. Beim Segeln prasselt erstmal eine Kaskade von Fremdwörtern auf die angehenden Seeleute ein: Backbord, Steu- erbord, Pik, Klau, Gaffel, Schot, Fall, Gei, Gording, Rigg, Bug, Heck, Achtern, Luv, Lee... keine Zeit fürs Vokabelpauken. Wir sind nicht in der Schule, sondern auf einem Segelschiff. Wir wollen segeln. Jede Hand an Deck wird benötigt. Der Wind weht uns salzig ins Gesicht. Die Maschine ist aus. Das Schiff schaukelt ruhig durch die Ostsee. Nur von der Kraft des Windes angetrieben. Ein schwer zu beschreibendes Gefühl der Ruhe stellt sich ein. Als hätte man nach drei Mo- naten endlich mal wieder den Schreibtisch aufgeräumt oder den Keller nach Jahren entrümpelt. Befriedigend. Ein Tag an Bord vergeht wie im Flug. Und am Ende macht sich eine zufriedene Bettschwere breit. Auch bei unseren pubertären Seeleuten. Es spielt keine Rolle mehr, dass keine Handys, kein Fernseher und Internet zur Verfügung ste- hen. Fest am Anker liegend lässt sich jeder an Bord mit dem Rollen der sanften Dünung in den Schlaf wiegen. Nur die Ankerwache geht alle halbe Stunde auf ihre Runde. Verantwortung zu tragen. Ernst genommen zu werden – mit aller Konsequenz. Gemein- sam ein über vierhundert Tonnen schweres Schiff über hunderte von Seemeilen durch die Ostsee bewegt zu haben. Das schafft eine Verbindung. Und wenn es nach einer Wo- che Abschied nehmen heißt, stehen 25 junge Erwachsene mit ihren Taschen auf dem Rü- cken am Kai und kämpfen mit ihren Tränen. Die meisten, so wie ich nur mit mäßigem Er- folg. Wir waren eine Crew. Was das bedeu- tet, kann man nur schwerlich beschreiben. Man sollte es erleben. Viele werden wieder kommen. So wie Loris und Merten, die ne- ben mir langsam wach werden. Ich stehe auf und gehe zum Frühstück. Es gibt Obstsalat mit Joghurt und Honig. Fabian Döring Unterhaltung